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Falun Gong("Rad des Gesetzes") :Märtyrer oder Sektierer?

2014-07-04 Source:Kaiwind Auteur:Georg Schmid

Märtyrer oder Sektierer?

Die chinesische Regierung hat die Massenbewegung Falun Gong 1999 nicht nur verboten und seither nach Möglichkeit mit allen Mitteln unterdrückt, sie hat auch in Publikationen ein Sündenregister der Bewegung zusammengetragen, das an möglichen Greueltaten kaum eine Variante überspringt. Parallel zu dieser Verfolgung entwickeln die zahlreichen Anhänger Falun Gongs im Westen eine kollektive Leidenschaft des Protests gegen das in China erlittene Unrecht, begleitet von einer Welle der Selbstrechtfertigung, die sogar in der an Unschuldsbeteuerungen religiöser Gemeinschaften überreichen Gegenwart durch ihre eminent medienwirksame Inszenierung auffällt. Falun Gong präsentiert sich im Westen als eine denkbar friedliche, unpolitische, menschlich restlos integere moralische und spirituelle Aufbaubewegung, die nichts anders will als den Geist und das Ethos des Menschen zu kultivieren. Welchem Bild soll nun der kritische westliche Beobachter trauen, der /„Dokumentation“ des chinesischen Staates oder der Autoportrait der westlichen Falun Gong Bewegung? Der westliche Beobachter muss, wenn er nicht dieser oder jener Propaganda aufsitzen will, versuchen, sich ein eigenes Bild zu schaffen, wobei er die Zerrbilder der Falun-Gong-Gegner und die Propagandabilder der Bewegung nicht einfach als nichtssagend zur Seite stellen kann. Beide enthalten Elemente, die der kritische Betrachter für sein mögliches Urteil braucht, auch wenn er sich weigert, sich diesem oder jenem beklemmend eindeutigem Urteil einfach anzuschliessen.

Das Leben des Meisters im Bild seiner Bewegung

Die besondere Position des Meisters Li Hongzhi und die Eigenart seiner Bewegung spiegelt sich nicht zuletzt im Lebenslauf des Meisters, der schon früh so von Legenden umrankt wurde, dass die historische Wahrheit sich oft nur noch erahnen lässt. Am 13. Mai 1951 (am Geburtstag des Buddha) in einer Akademikerfamilie in der Provinz Jilin geboren, war der spätere Meister Li Hongzhi ein auffallend mitleidvolles und spirituell interessiertes Kind. Schon mit vier Jahren wurde Li von Meister Quanjue in den sog. Kultivierungsweg (Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht) eingeführt, eine Andachtsform, die vor allem durch Wiederholen von Gebetsformeln die Grundtugenden der Bodhisattvas, der Erleuchtungswesen im grossen Fahrzeug des Buddhismus, im Übenden weckt und einübt. Schon im Kindesalter meldeten sich auch übernatürliche Kräfte.

Mit acht Jahren konnte Li Hongzhi Metallröhren biegen, sich beim Verstecken spielen unsichtbar machen und sich beim Laufen in die Luft erheben. All diese Fähigkeiten verstand Li später als "Kultivierungsfunktionen" und nahm selbstverständlich an, dass sie jedermann zugänglich sind. Mit 12 Jahren rettete er einen viel grösseren erwachsenen Menschen vor dem Tod durch Ertrinken. Im gleichen Jahr verliess er den ersten Meister. Der zweite Meister brachte ihm vor allem taoistische Übungen bei. Diese machten seinen Körper "so weich wie Baumwolle und so hart wie Stahl.“ Auch der dritte Meister (ab 1972) war ein taoistischer Meister, darauf folgte eine buddhistische Meisterin (ab 1974). Li soll auf seinem Weg zur eigenen Erleuchtung (1984) und Meisterschaft von mehr als zwanzig Meistern gelernt haben. Der riesige Erfolg der Bewegung /– man spricht ehemals von 100 Millionen Anhängern /– habe das Verbot der Bewegung 1999 provoziert. Der Meister konnte sich und seine Familie rechtzeitig nach den USA absetzen, wo er in Queens, New York ein einfaches Leben geführt haben soll. Weil er /– wie er fürchtete - im Auftrag Chinas ermordert werden sollte, zog er sich aus der Öffentlichkeit an einen unbekannten Ort zurück. Auf einem Berg in einer Felsenwüste sitzend /– so zeigt ihn ein Foto - soll er nun das Schicksal und die geistige Entwicklung mit seinen hellsichtigen Augen überwachen und beschützen.

Das Leben des Meisters in kritischer Sicht

Kritiker präsentieren uns einen deutlich anderen Lebenslauf des Meisters. Schon das Geburtdatum gilt als getrickst. Chinesische Regierungsstellen nennen den 7. Juli 1952 als Geburtsdatum. Nachträglich habe Li sein Geburtsdatum auf den Geburtstag des Buddha vorverlegt. Li behauptet, sein Geburtsdatum sei während der Kulturrevolution im offiziellen Dokument falsch eingetragen worden, einen Fehler, den er später wieder korrigiert habe. Nach der Schule hat Li /– so die nüchtern-kritische Sicht der Nichtschüler - in einer Pferdezuchtfarm der Armee gearbeitet. Er hat in einer Polizeimusik die Trompete gespielt und wurde in den Achtziger Jahren Buchhalter in einer Getreidehandelsfirma. Als das nach-maoistische China religiösem Leben wieder einen etwas weiteren Raum zugestand und zu eigenem Unternehmertum ermutigte, wurden Qi-gong-Praktiken von vielen öffentlich angeboten. Li war einer dieser vielen Anbieter altchinesischer Spiritualität in modernem Gewand. Er kombinierte buddhistische und taoistische Impulse mit New-Age-Anliegen und sprach von Falun, vom Rad der Lehre, Kraftzentrum und Spiegelbild der absoluten Wirklichkeit, ein mystisches Rad, am Grund der Wirbelsäule seiner Schüler vom Meister hingelegt und damit von Meister und Schüler gemeinsam "eingebildet". Auch ein gutes Quantum Geisterglauben floss in sein synkretistisches spirituelles Angebot. Dämonen /– u.a. sexuelle Vorstellungen und Horrorgestalten - irritieren den Übenden. Gleichzeitig präsentierte sich Falun Gong in den Anfangszeiten als einziges Heilmittel gegen karmisch bedingte Krankheiten. Da die Übungen gratis angeboten wurden, da gleichzeitig der sich ausbreitende Kapitalismus Chinas viele Arbeitslose auch aus dem Schutz des staatlichen Gesundheitswesens entliess und da Falun Gong sich selbst schon damals nicht nur über alle Massen pries, sondern die von Falun Gong gelehrten fünf Übungen in der Tat zumeist entspannend wirken, fanden in den Neunziger Jahren immer mehr Menschen zu Falun Gong. Dieser immense Zulauf musste, so die Sicht kritischer Beobachter, die chinenische Regierung zuerst irritieren, weil spirituelle Massenbewegungen in der Geschichte Chinas schon hie und da "ausser Kontrolle" gerieten und in Aufständen endeten. Den Stein ins Rollen brachte dann zuletzt 1999 der massive Protest, den Falun-Gong-Anhänger gegenüber einem Kritiker ihrer Bewegung vorbrachten. Da entschloss sich die Regierung, Falun Gong zu verbieten. Einem Auslieferungsantrag Chinas an die USA wurde nicht stattgegeben, da das dem Meister von China vorgeworfene Hauptverbrechen, Führer eines illegalen Kultes zu sein, in den USA nicht als Verbrechen gilt. China bestreitet alle Mordpläne gegenüber Meister Li. Lis diesbezüglichen Ängste gelten als Zeichen seiner Paranoia.

Die Grundidee

Wer zum ersten Mal auf eine Gruppe von Falun-Gong-Schülern trifft, die /– etwa in einem öffentlichen Park /– ihre fünf Übungen in einer in der /„spirituellen Gymnastik“ Chinas überall üblichen eindrücklichen Verbindung von Gelassenheit und Konzentration durchführen, deutet Falun Gong fürs Erste als bewegt-meditative Ergänzung zum gestressten Alltag. Wenn er dann auf das intensive gemeinsame Studium der Schriften von Meister Li in der Gruppe stösst, denkt er sich Falun Gong als Gemeinschaft mit meditativem Angebot und offenkundiger doktrinärer Ausrichtung. Aber auch dieser Eindruck deckt sich nur am Rand mit dem Selbstverständnis des Meisters und seiner Gruppe. Falun Gong versteht seine "Kultivierung", seine spirituellen Übung, als die Aufgabe des Menschen schlechthin, als Realisierung des Absoluten, des Buddha-Gebotes, verborgen im Vorläufigen und Bedingten, als spirituell zu verwirklichende vollkommene Wahrheit, die sich vor dem gewöhnlichen Auge hinter der vergänglichen Täuschung versteckt: "Das 'Buddha-Gebot' ist die tiefste, mystischste und ungewöhnlichste Wissenschaft von allen Theorien der Welt. Wenn sich die Menschen auf dieses Gebiet begeben, müssen sie ihre normale Mentalität abstreifen. Sonst bleibt für sie das wahre Antlitz des Kosmos immer ein Mysterium. Gewöhnliche Menschen werden sich immer nur innerhalb des durch ihre Ignoranz gezeichneten Kreises bewegen. Was eigentlich ist das 'Buddha-Gebot'? Ist es eine Religion? Eine Philosophie? Solche Bewertungen entspringen ausschliesslich dem Verständnis der 'modernistischen Gelehrten des Buddhismus'. Sie lernen es nur als Theorie, wobei sie es als Wissen der philosophischen Kategorie kritisieren und es einer sogenannten Forschung unterziehen. Tatsächlich ist das 'Buddha-Gebot' aber nicht allein das, was in den klassischen Werken des Buddhismus steht. Diese stellen nur die Prinzipien auf der primären Ebene des 'Buddha-Gebots' dar. Das 'Buddha-Gebot', das tiefschürfende Erkenntnisse enthält, die in alle Geheimnisse eindringen, erstreckt sich vom Korpuskel und vom Molekül bis auf den Kosmos, vom unendlich Kleinen bis zum unendlich Grossen und enthält alles, nichts wird darin ausgelassen. Es umfasst verschiedene Erklärungen von 'Zhen, Shan und Ren', Eigenschaften des Kosmos auf verschiedenen Ebenen. Es ist das 'Tao', das die Taoisten meinen, und das 'Dharma', das die Buddhisten meinen." (Li Hongzhi, Zhuan Falun, Einführung) Falun Gong gibt dem Schüler also nicht etwas, sondern alles. Es ist keine Erkenntnis und kein Gewinn für den Menschen grösser als das, was Falun Gong anbietet: "Es ist einzig und allein das 'Buddha-Gebot', das das Rätsel des Kosmos, von Zeit und Raum und des menschlichen Körpers voll und ganz lösen kann. Es ist in der Lage, eine richtige Trennungslinie zwischen Gutem und Bösem, zwischen Richtigem und Falschem zu ziehen, alle Absurditäten auszumerzen und sie zu berichtigen."( Li Hongzhi, a.a.O.) Welches Verständnis des Menschen kann die Bedeutung von Falun Gong derart ins Unermessliche steigern? Menschen waren ursprünglich Wesen in anderen vollkommenen Räumen des Kosmos. Aber sie sind heruntergefallen auf die erbärmliche und erbarmungswürdige Stufe des Menschseins: "Das heisst, dass das früheste Leben des Menschen den Räumen des Kosmos entsprang. Die Räume des Kosmos sind eigentlich barmherzig und besitzen die Eigenschaften von 'Zhen (Wahrhaftigkeit), Shan (Barmherzigkeit) und Ren (Nachsicht)'. Der Mensch hatte nach seinem Entstehen die gleichen Eigenschaften wie der Kosmos. Aber durch die Vermehrung der Lebewesen entstanden gesellschaftliche Beziehungen verschiedener Gruppierungen. Bei manchen Menschenwesen können sich wohl egoistische Gedanken ergeben haben. Allmählich wurden sie degradiert und durften nicht mehr auf ihrer eigenen Ebene bleiben. Sie mussten auf eine niedrigere Ebene fallen. Dann wurden sie wieder schlechter, durften nicht mehr dort bleiben und mussten weiter nach unten fallen. Und schliesslich fielen sie auf die Ebene der Menschenwesen." (Li Hongzhi, Zhuan Falun, 1,1) Zhen, Shan und Ren sind also nicht nur moralische Tugenden, sie sind die ursprüngliche und reine Essenz aller Dinge, eine Essenz, zu welcher der Mensch zurückfinden muss: "Zhen, Shan und Ren - in jedem Teilchen der Luft, in jeder Substanz wie Stein, Holz, Erde, Eisen und Stahl und Luft, in der Substanz zur Bildung des menschlichen Körpers und in allen Substanzen. In der ursprünglichen Zeit wurde gesagt, dass in allen Dingen des Kosmos, die aus den fünf Elementen (Metall, Holz, Wasser, Feuer und Erde) gebildet sind, Zhen, Shan und Ren existieren." (Li Hongzhi, Zhuan Falun, 1,1). Die Aufgabe des Menschen ist es nun, in diese Urwirklichkeit zurückzufinden und sich in sie einzufügen: "Ein Mensch ist erst dann ein guter Mensch, wenn er sich den Eigenschaften des Kosmos - Zhen, Shan und Ren - anpasst; ein Mensch ist wirklich ein schlechter Mensch, wenn er diesen Eigenschaften zuwider handelt. ... Wenn du als Anhänger die Eigenschaften des Kosmos assimilierst, dann bist du ein Anhänger, der den Tao erreicht hat. So einfach ist das Prinzip." (Li Hongzhi, Zhuan Falun, 1,3) Das tönt sehr einfach. Aber diese Heimkehr in die Wahrheit gelingt nur unter der Leitung von Meister Li. Nicht nur alle Religionen und Wissenschaften, auch die anderen Qigong-Meister arbeiten nur auf tieferer Ebene: "Vor ein paar Jahren gab es viele Qigong-Meister, die anderen das Qigong beibrachten. Was sie andere lehrten, gehörte nur zur Ebene der Beseitigung der Krankheiten und der Erhaltung der Gesundheit. Das heisst natürlich nicht, dass diese Arten des Qigong nicht gut sind. Ich will damit nur sagen, dass sie das, was auf der hohen Ebene steht, nicht verbreitet haben. Ich weiss auch Bescheid über die Lage des Qigong in ganz China. Zur Zeit vermittle nur ich alleine im In- und Ausland das Gong auf der hohen Ebene." (Li Hongzhi, Zhuan Falun, 1,1). Kurz - Erlösung, Heimkehr ins Urwirkliche, findet sich nur bei Falun Gong. Sogar der Buddha Shakyamuni, der Begründer des Buddhismus, hat wie alle Religionen und Gestalten der Vergangenheit und wie alle Wissenschaften der Gegenwart nur vorläufige, zeitgebundene Erkenntnisse weitergegeben. Erst Li verkündigt die ewige Erkenntnis schlechthin. Das Absolute, die Buddhanatur, erschliesst sich erst durch und mit ihm.

Erklärungsversuche zum Selbstbewusstsein von Li Hongzhi

Wer auf das ins Grenzenlose gesteigerte Selbstbewusstsein von Li Hongzhi trifft, sucht nach Erklärungsmustern, die diese zeitgenössische "Erlösergestalt" aus der Sphäre des Unbegreiflichen befreien und ihn irgendwie menschlich einfühlbar machen. Vier Erklärungsmuster bieten sich an:

1. Mystische oder wohl eher "pseudo-mystische" Erfahrung, Erleuchtungen, Berufungen zur Meisterschaft, befallen Menschen manchmal mit überwältigender Kraft. Das Gefühl, etwas völlig Einzigartiges zu erleben, stellt sich fast automatisch ein. Eine gute religiöse Bildung und ein tiefe Verwurzelung in einer spirituellen Tradition setzen diesem ersten Gefühl dann sogleich wieder gute und heilsame Grenzen: "Andere erlebten Ähnliches." Vielleicht fehlten Li in einem Staat, der Religion lange Zeit verachtete sowohl diese Einbindung als auch die entsprechende Bildung. Der erste Eindruck überwältigender "mystischer" Erfahrung konnte nicht oder nur am Rand in eine ihm ebenbürtige Tradition eingebunden werden.

2. Spirituelle Meister neigen ganz allgemein zur "splendid isolation." Sie unterhalten sich nicht mehr mit "Meister-Kollegen". Gleichzeitig fliesst ihnen aus den Reihen der Schüler nur noch kritiklose Bewunderung zu. Der auf spirituellen Pfaden unsichere Schüler sucht im Meister keinen echten Dialogpartner, sondern eine Quelle aller Weisheit, eine Autorität, deren Anweisungen er fraglos akzeptiert. Beides, das Fehlen ebenbürtiger Dialogpartner und das Ausbleiben der Schülerkritik fördert im Meister eine "déformation professionelle", die ihn aus dem Raum menschlicher Normalität enthebt und in die Sphäre restloser Einzigartigkeit rückt. Vielleicht hat der enorme Erfolg von Falun Gong diese "déformation professionelle" des Meisters schon angestossen, kaum dass der Meister an die Öffentlichkeit tritt.

3. Verfolgung verfestigt und vertieft die enorme Selbstachtung der verfolgten Gemeinschaft. In der bedrohten Gemeinschaft ist noch mehr als in Zeiten erfolgreicher Werbefeldzüge auch nur ein Anflug von Kritik am Meister tabu. Die Gruppe schliesst die Reihen und schart sich um den Meister, dessen Bedeutung sich ins Unendliche steigert.

4. Wie immer wir uns auch die einzigartige und grenzenlose Bedeutung von Falun Gong erklären wollen, Falun gong bloss als spirituelle Bereicherung für einen gestressten modernen Alltag zu verstehen wäre ein arges Missverständnis. Der Meister zeigt dies immer wieder überdeutlich: "Die Doktrin des Falun Dafa (des grossen kosmischen Gesetzes) hat sowohl für jeden Kultivierenden, als auch für den religiösen Glauben seine Anleitungswirkungen. Das ist das kosmische Prinzip und das wahre Fa, was früher noch nie ausgesprochen wurde. In der Vergangenheit durfte man auch nichts von dem kosmischen Prinzip (dem Fofa) erfahren. Es ist über alle alten und neuen Wissenschaften und ethischen Prinzipien der menschlichen Gesellschaft erhaben. Was früher in den Religionen verbreitet wurde und was Menschen empfunden hatten, waren nur oberflächliche Wahrnehmungen und Erscheinungen." (Li Hongzhi 06.02.1995).

Wahnhafte Entgleisungen?

Dass Li Hongzhi nicht ein modernes wissenschaftliches Weltbild vertritt, ist offenkundig. Er rechnet mit Einwirkungen von Geistwesen und Bessenheit, mit mythischen Vorzeiten /– schon 81 Mal wurde die Menschheit ausgelöscht und von wenigen Überlebenden wieder aufgebaut - mit paranormalen Fähigkeiten und mit magischen Wirkungen, erzielt durch das Studium seiner Schriften. Er empfahl seinen Schülern überdies, auf moderne Medizin zu verzichten. Wie aber stellt sich der Meister zu den Suizidhandlungen und Verbrechen, die seiner Bewegung von Seiten der chinesischen Regierung vorgeworfen werden?

Der Hinweis, dass im weiten Raum einer spirituellen Massenbewegung Suizidhandlungen und wahnhafte Aggressivität nicht nur auftreten können, sondern wahrscheinlich auch auftreten werden, vermag die für religiöse Angelegenheiten zuständigen Beamten Chinas nicht (oder noch nicht) zu überzeugen. Der Meister selbst ist scheinbar auch nicht zu dieser realistischen Betrachtung der sog. Verbrechen bereit. Zwar gibt es auch nach seiner Meinung durch Qigong ausgelösten Wahn. Aber im Falle von Falun Gong fällt seiner Meinung nach diese Möglichkeit ausser Betracht: "In den Qigong-Kreisen gibt es eine Formulierung, sie heisst Kultivierungswahnsinn (Zouhuo Rumo). Unter den Massen hat sie einen grossen Einfluss. Es gibt besonders manche Leute, die sie an die grosse Glocke hängen, so dass viele Leute nicht mehr wagen, Qigong zu praktizieren. Wenn mancher davon gehört hat, dass das Praktizieren des Qigong zum Kultivierungswahnsinn führen kann, wagen sie aus Angst nicht mehr, Qigong zu betreiben. Ich sage euch die Wahrheit, dass der Kultivierungswahnsinn überhaupt nicht existiert." (Li Hongzhi Zhuan Falun 6,1) Wie kann, fragt es sich angesichts solcher Aussagen, sich eine spirituelle Bewegung gegen ein Abgleiten einzelner Mitglieder oder ganzer Gruppen in wahnhafte Vorstellungen und Aktionen schützen, wenn sie die Möglichkeit, in ihren eigenen Reihen wahnhaft abzugleiten, ausschliesst?

Abwehrstrategie

Falun Gong betont in seinem Abwehrkampf gegen die Vorwürfe der chinesischen Regierung seine völlig unpolitische Natur, das offizielle Fehlen jeder internen Hierarchie und Organisationsstruktur und die angeblich relativ unscheinbare Position, die Meister Li innerhalb der Bewegung einnimmt. Vor allem die letzten Beteuerungen überzeugen aber manche Kritiker kaum. Wie kann eine Bewegung völlig ohne Organisation Hunderte oder Tausende Anhänger zu Protestaktionen an publikumswirksamer Stelle aufbieten? Falun Gong kennt sehr wohl Struktur und Hierarchie. Die Bewegung ist buddhistischer und taoistischer spiritueller Tradition entsprechend autokratisch strukturiert und lehrt meisterbezogen. Meister Li darf mit seiner Lehre innerhalb der Bewegung von niemandem interpretiert werden, er interpretiert sich selbst. Anhänger deuten deshalb die Lehre des Meisters nicht, sie repetieren sie.

Zur Attraktivität von Falun Gong

Durch zahllose Publikationen, Reisen und Kurse und vor allem durch seine noch rechtzeitig organisierte Übersiedelung in die USA hat Meister Li seine Bewegung weltweit verbreitet. Durch ihre sanften Übungen, die sie auf Strassen und Plätzen in den Städten der westlichen Welt inszeniert, tritt Falun Gong augenfällig ins Bewusstsein der westlichen Welt. Das Martyrium der Bewegung in China sicherte Falun Gong auch sofort ein grosses Mass an Mitgefühl. Dieses Martyrium wird in der westlichen Welt nicht ohne Absicht und Grund immer wieder mit dem Martyrium der Christen im heidnischen Römerreich verglichen.

Mit seiner Mischung von Buddhismus und Taoismus, von unfehlbarer Lehre und einfachen und allgemein ansprechenden Meditationsübungen, von Meistergehorsam und sanfter, aber intensiver Gruppenbindung, von Elitegefühl und offener Opferbereitschaft entspricht Falun Gong auch spirituellen Sehnsüchten mancher westlicher Menschen.

Georg Schmid, 2005

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